- Erster Mai und Arbeiterbewegung
- Erster Mai und ArbeiterbewegungDer Erste Mai wird heute von den meisten wohl nur noch als ein willkommener arbeitsfreier Tag angesehen. Es ist aber sehr sinnvoll, die Geschichte dieses Tages einmal genauer zu betrachten. Daran wird deutlich, in welch entscheidendem Maß sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Einzelnen in den vergangenen 150 Jahren gebessert haben.Der Erste Mai wird heute weltweit in vielen Ländern der Erde als gesetzlicher Feiertag, als internationaler Feiertag der Arbeit begangen. Er wurde auf Beschluss der Zweiten Internationale von 1889 erstmals am 1. 5. 1890 begangen, als die Menschen sich in Massendemonstrationen für die Ziele der Arbeiterbewegung einsetzten. Seinen Ursprung hat er in der Geschichte der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. Für die Probleme der arbeitenden Bevölkerung hatten die Mächtigen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft damals kaum Verständnis. Um die wirtschaftliche Unterlegenheit gegenüber den Arbeitgebern auszugleichen, schlossen sich daraufhin Arbeiter zu Parteien und Gewerkschaften zusammen.Erste BerufsverbändeAuch in Deutschland entstanden verschiedene Berufsverbände, so im Jahr 1848 die der Buchdrucker und der Zigarrenmacher. Im Jahr 1868 wurden die »Gewerkvereine« von den Liberalen Max Hirsch und Franz Duncker gegründet. Deren Einfluss blieb allerdings gering, da sie sich darauf beschränkten, soziale Hilfseinrichtungen für die Arbeiterschaft anzubieten, dabei aber so gut wie keine Streiks organisierten. Im selben Jahr kam es auch zur Gründung der sozialistischen Gewerkschaften, und zwar entstanden neben den »Arbeiterschaftsverbänden« um Ferdinand Lassalle auch die »Gewerkgenossenschaften« der »Eisenacher«, aus denen dann die »Freien Gewerkschaften« hervorgingen. Zu dieser Zeit kam die Arbeiterbewegung auch international bei ihrer Organisierung voran. Dies lag an der starken Veränderung, die das Arbeitsleben ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts erfasst hatte. In den meisten Ländern Europas und in Amerikas war der Anteil der Arbeiter stark gestiegen, das Fortschreiten der Industrialisierung führte zu einem wachsenden wirtschaftlichen Konzentrationsprozess und ließ immer größere Betriebe entstehen, was aber auch den Vorteil mit sich brachte, dass die Arbeiterschaft bessere Voraussetzungen bekam, um sich zu organisieren und zu solidarisieren. Immer mehr bildeten sich selbstständige, nationale Organisationen und Parteien der Arbeiter; ein Folgeschritt war, durch einen Zusammenschluss auf internationaler Ebene ein noch stärkeres Gewicht zu bekommen.Die Zweite InternationaleIm Jahr 1876 hatte die Internationale Arbeiterassoziation, die Erste Internationale, ihren Abschluss gefunden, im Jahr 1889 tagte dann, genau 100 Jahre nach der Französischen Revolution, der Gründungskongress der Zweiten Internationale. Die ca. 400 Delegierten dieses Kongresses in Paris verabschiedeten am 20. 7. 1889 verschiedene Resolutionen mit den folgenden gemeinsamen Forderungen: Als Voraussetzung für die Übernahme der politischen Macht sollte die Lage der Werktätigen verbessert und die Besitzergreifung der Produktionsmittel eingeführt werden. Dafür waren folgende Schritte und Maßnahmen vorgesehen: 1) Einführung des Acht-Stunden-Tages, Verbot der Kinderarbeit, Verbot der Nachtarbeit von Frauen und Minderjährigen, Verkürzung des Arbeitstages für Minderjährige. 2) Der 1. Mai 1890 wurde zum Kampftag zur Durchsetzung des Acht-Stunden-Tages und der anderen Forderungen des Sozialistenkongresses erklärt. 3) Die stehenden Heere sollten abgeschafft und durch Einführung einer allgemeinen Volksbewaffnung ersetzt werden. 4) Der nächste internationale Kongress der Sozialisten sollte vorbereitet werden. Die Erklärung des 1. Mai 1890 zum Kampftag orientierte sich an der US-Gewerkschaft »American Federation of Labor« (AFL), die 1888 beschlossen hatte, am 1. 5. 1890 eine landesweite Kampagne für den Acht-Stunden-Tag durchzuführen.Erster Maifeiertag am 1. 5. 1890Der 1. Mai 1890 wurde dann für die internationale Arbeiterbewegung zu einem großen Erfolg. In den USA, in Argentinien und in 18 europäischen Ländern fanden die ersten »Maimanifestationen« mit Demonstrationen und Streiks statt. In London gingen etwa 300 000 Menschen auf die Straße. Friedrich Engels stellte daraufhin fest: »... heute hält das Proletariat Heerschau über seine zum ersten Mal mobil gemachten Streitkräfte, mobil gemacht. .. für ein nächstes Ziel, den gesetzlich festzustellenden, achtstündigen Normalarbeitstag. ..« Allerdings ging es mit der Verwirklichung der Ziele der Arbeiterbewegung nur langsam voran. Noch bis nach dem Ersten Weltkrieg galt das Ruhen der Arbeit am 1. Mai zumeist als Streik. In den USA wird seit 1894 der erste Montag im September als »Labour Day« begangen.Entwicklung der Arbeiterbewegung in DeutschlandEntstehung der Sozialdemokratie und Spaltung im Ersten WeltkriegIn Deutschland hatten sich 1875 die beiden Flügel der »Lassalleaner« und der »Eisenacher« zur Sozialdemokratie zusammengeschlossen. Sie wurde bis 1890 durch die von Bismarck initiierten Sozialistengesetze unterdrückt und konnte sich nur wenig entfalten. Dann aber wurde die Sozialdemokratie zur Massenpartei der Arbeiter. Ab 1892 war die Gewerkschaftsbewegung dann zentralisiert in der Organisation der »Freien Gewerkschaften«.Im Jahr 1912 waren Freie Gewerkschaften und Sozialdemokratische Partei bereits die zahlenmäßig größten Organisationen der internationalen Arbeiterbewegung. Im Ersten Weltkrieg schlossen Sozialdemokratie und Freie Gewerkschaften einen »Burgfrieden« mit Staat und Kapital. Der Lohn: Sie wurden 1916 erstmals staatlich anerkannt. Der Preis war die Spaltung der Arbeiterbewegung. Da die SPD für die Kriegskredite stimmte, spaltete sich von ihr die USPD ab. 1917 und 1918 wandten sich die Arbeiter in Massenstreiks gegen Krieg und Obrigkeitsstaat. In den Konflikten nach der Novemberrevolution 1918/19 und der Phase der Arbeiter- und Soldatenräte vertiefte sich die langfristige Spaltung der Arbeiterbewegung in einen sozialdemokratischen und einen kommunistischen Flügel. Die Rätebewegung konnte sich in Deutschland nicht durchsetzen, ihr folgte ab 1919 die parlamentarische Demokratie. Massenarbeitslosigkeit, eine tief gespaltene Arbeiterbewegung und eine immer stärker werdende NSDAP waren die Kennzeichen des Niedergangs der Weimarer Republik, der sich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 immer mehr beschleunigte.Missbrauch im NationalsozialismusNachdem die Nationalsozialisten im Jahr 1933 an die Macht gekommen waren, setzten sie zwar den 1. Mai als offiziellen Feiertag ein, an dem Hitler bei einer Großkundgebung 1933 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin arbeiterfreundliche Parolen verkündete und Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung in Aussicht stellte. Hatten die Gewerkschafter bis dahin noch geglaubt, dass ihre Organisation auch unter der Herrschaft der Nationalsozialisten weiterexistieren würde, wurden sie bereits am folgenden Tag, dem 02. 05. 1933 brutal eines anderen belehrt. An diesem Tag wurden alle Einrichtungen der Freien Gewerkschaften von SA und SS besetzt, Gewerkschaftsfunktionäre wurden verhaftet, die Presseorgane der Gewerkschaften verboten, die Freien Gewerkschaften schließlich durch die Zwangsorganisation der Deutschen Arbeitsfront ersetzt. Die Nationalsozialisten deuteten den Tag der Arbeit dann zum »Nationalen Feiertag des deutschen Volkes« um und führten an diesem Tag große Kundgebungen durch, die einen »volksgemeinschaftlichen Arbeiterstaat« suggerieren sollten.Die Lehre aus Weimar: Gründung von EinheitsgewerkschaftenNach Ende des Zweiten Weltkriegs zogen die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland ihre Lehren aus der Spaltung der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg und ihren tragischen Folgen. Sie gründeten deshalb ab 1945 ihre Vertretungen als Einheitsgewerkschaften neu. Im Jahr 1949 wurde dann der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Dachverband der Einzelgewerkschaften mit Sitz in Düsseldorf neu gegründet. 1951 wurde die Montanmitbestimmung als Gesetz verabschiedet. Hatten die Gewerkschaften dies noch unterstützt und durch ihren Druck mit herbeigeführt, so übten sie — vergeblich — massiven Druck gegen das im Folgejahr verabschiedete Betriebverfassungsgesetz aus, das die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer ihrer Meinung nach nicht genügend berücksichtigte. In der Deutschen Demokratischen Republik wurde der 1. Mai ebenfalls gefeiert. Als einziger Feiertag neben dem 7. Oktober (Gründung der DDR) hatte er als »Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen« den Rang eines Staatsfeiertags mit militärischen Aufmärschen.Neue Herausforderungen an der Schwelle zum nächsten JahrtausendIn der wirtschaftlich erstarkenden Bundesrepublik Deutschland fanden die Gewerkschaften schnell ihre Rolle — und zwar vor allem als Tarifvertragspartei. Von der Zeit des »Wirtschaftswunders« in den ausgehenden 50er-Jahren bis zur Ölkrise um 1973 gab es eine wirtschaftlich sehr stabile Phase, in der der DGB seine gesellschaftlichen Reformziele bereits 1963 reduziert hatte. 1969 und 1973/74 kam es allerdings zu spontanen Streiks. Bis Anfang der 80er-Jahre waren die Gewerkschaften kampfstarke Organisationen, die in einigen Bereichen die 35-Stunden-Woche durchsetzten. Ab der zweiten Hälfte der 80er-Jahre mit den weltweiten wirtschaftlichen Umbrüchen und massiven Krisen gerieten sie allerdings immer mehr in die Defensive. Dieser negative Trend konnte auch in den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht umgekehrt werden. Starker Mitgliederschwund, trotz der Übernahme der Mitglieder aus dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) der Deutschen Demokratischen Republik, zwang die Gewerkschaften, sich zu größeren Einheiten zusammenzuschließen, die ein immer größeres Berufsspektrum umfassen. Aktuellstes Beispiel dafür ist der Zusammenschluss mehrerer DGB-Gewerkschaften und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft »ver.di«. Auch bei den Reaktionen auf die weltweiten und nun in Deutschland ebenfalls spürbaren Folgen der Globalisierung und der Änderung der Struktur der Arbeitsverhältnisse sehen sich die Gewerkschaften momentan vor großen Problemen. Bei einer Arbeitslosigkeit, die sich dauerhaft auf drei bis vier 4 Millionen Menschen eingependelt hat, wird ein verändertes Rollenverständnis bei den Gewerkschaften für erforderlich gehalten. Sie sollten nicht nur Vertreter der arbeitenden Bevölkerung, der Arbeitsplatzbesitzer sein, sondern mit den Arbeitgebern und der Politik zusammen dieses zentrale gesellschaftliche Problem angehen. Ein Mittel dazu stellt das Bündnis für Arbeit dar, dessen Nützlichkeit allerdings nicht unumstritten ist.Udo Achten: Illustrierte Geschichte des 1. Mai. Oberhausen 31985.Hoch das Maienfest der Arbeit! Die Anfänge der Maifeiern in Heidelberg und Bremen (1890—1914). Beiträge von Udo Achten u. a. Heidelberg 1990.Hans-Jürgen Kahle: Maibanner leuchten versöhnendes Rot. Die Geschichte des 1. Mai in Cuxhaven. Cuxhaven 1990.Dieter Schuster: Zur Geschichte des 1. Mai in Deutschland. Düsseldorf 21991.Vergangene Zukunft, Teil 2: Hanns-Albrecht Schwarz: Bibliographie zur Geschichte des Ersten Mai. Berlin 21992.
Universal-Lexikon. 2012.